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Junge Friedensstifter: Langenzenner Gymnasiasten übergeben im Rahmen der "Woche der Brüderlichkeit" Friedenstaube an Stadt Langenzenn

Übergabe der Wolfgang-Borchert-UN-Taube an die Stadt Langenzenn, v. l. n. r.: Schulleiter des WBG OstD Reinhard Vollmer, Stadträtin Andrea Barz, Referent OstD a. D. Joachim Mensdorf, Landrat Matthias Dießl und die drei Schülersprecher des WBG

„Verlorene Maßstäbe“ – so lautet das Jahresthema der Woche der Brüderlichkeit 2010, deren zentraler Auftakt vor wenigen Tagen in Augsburg war.

Die "Woche der Brüderlichkeit" wird von den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GZJZ) ausgerichtet. Bundesweit findet immer im März auf lokaler Ebene eine Reihe von Veranstaltungen statt, die unter einem bundesweiten Motto stehen.

Der Landkreis Fürth konnte für eine örtliche Veranstaltung am Wolfgang-Borchert-Gymnasium Langenzenn den ehemaligen Schulleiter, Oberstudiendirektor a.D. Joachim Mensdorf, gewinnen. Er stellte sein Buch „Wladyslaw Kostrzenski. Stationen einer Flucht. Gefangenschaft und Überleben in den Lagern Mannheim - Sandhofen,  Langenzenn und Flossenbürg“ vor. Ein weiterer Höhepunkt war die Übergabe der Wolfgang-Borchert-Friedenstaube durch die Schülersprecher an die Stadt Langenzenn, die durch die Stadträtin Andrea Barz vertreten wurde.

Seit mehr als 50 Jahren widmet sich die Woche der Brüderlichkeit dem jüdisch-christlichen Dialog. “Verlorene Maßstäbe können wir derzeit leider in vielen Facetten erleben”, betonte Landrat Matthias Dießl in seiner Begrüßungsrede. Als Beispiele nannte er die Skandale an den Finanzmärkten, aber auch die Zunahme von Gewaltverbrechen bei Jugendlichen.
“Es kommt mir so vor, als würde unsere Gesellschaft in vielen Bereichen das richtige Maß verlieren. Wir müssen insgesamt wieder bescheidener werden”, so die Aussage des Landrats. Er zitierte den Philosophen Immanuel Kant, der bereits gefordert habe: „Handle stets so, dass die Maxime deines Willens zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“

Trotz der Einfachheit dieser Regel, sei es zum Holocaust gekommen und komme es immer noch zu Kriegen und Verbrechen. Tagtäglich müssten die Medien zudem von Anschlägen, Amokläufen und offener Gewalt berichten.

Der Zuspruch an der “Woche der Brüderlichkeit”, die auch in diesem Jahr wieder von Kreisheimatpfleger Georg Lang vorbereitet und intensiv durch Schulleiter Vollmer unterstützt wurde, zeuge aber auch vom ungebrochenen Interesse an den guten Beziehungen der Religionsgemeinschaften zueinander. Dazu sei es auch immer wieder notwendig an die Vergangenheit zu erinnern.

So erzählte Joachim Mensdorf die Geschichte von Wladyslaw Kostrzenski - einem ehem. polnischen KZ-Häftling. Dabei legte er den Schwerpunkt auf die Ereignisse im „Arbeitserziehungslager Langenzenn“, wie das Gestapostraflager im NS-Jargon zynisch hieß. Damit erhielt die Woche der Brüderlichkeit auch einen - durchaus erschreckenden - regionalen Bezug.

Wladyslaw Kostrzenski, 1922 in Posen geboren, wurde nach dem deutschen Überfall auf Polen mit seiner Familie ins Generalgouvernement nach Warschau zwangsum­gesiedelt und nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im September 1944 mit 22 Jahren ins KZ Dachau und später ins KZ Mannheim-Sandhofen de­portiert. Das Außenlager Sandhofen war 1944 zur Unterbringung von KZ-Häftlingen eingerichtet worden, die für Daimler-Benz Mannheim Zwangsarbeit leisten mussten.

In seinen Erinnerungen beschreibt Kostrzenski in unvergesslicher Weise seinen Ausbruch aus diesem KZ im Dezember 1944 und seine abenteuerliche Flucht quer durch Süddeutschland. Sie führt ihn über Heidelberg, durch das Neckartal, über Würzburg, Schweinfurt und Bamberg bis in einen Vorort von Bayreuth, wo er verraten und erneut inhaftiert wird. Über Nürnberg gelangt er im Februar 1945 in das „Arbeits­erziehungslager“ Langenzenn.

Joachim Mensdorf schilderte den Zuhörern die grauenhaften Zustände in diesem Straflager. Nur die herannahende Front verhindert im letzten Augenblick, dass das bereits über Wladyslaw Kostrzenski  verhängte Todesurteil vollstreckt wird.

In den Kostrzenski-Erinnerungen erscheint die Realität der Endzeit des Naziregimes aus den bedrückenden Perspektiven eines KZ-Häftlings, eines Flüchtlings sowie des Insassen des Gestapo Straflagers in Langenzenn.
Sein persönliches Schicksal und das seiner Leidensgenossen wird in erschütternden und zu Herzen gehenden Bildern deutlich.

Er ermöglicht dem Leser Blicke auf die grausame Wirklichkeit des Lagersystems sowie in die Abgründe menschlichen Verhaltens, Denkens und Fühlens. Immer wieder blitzt aber auf, dass es seinerzeit auch Menschen gab, die zumindest Mitgefühl erkennen ließen und in einigen Fällen auch zu Risiken bereit waren.

An Kostrzenskis Erinnerungstext schließt sich eine ausführliche Dokumentation zum zeitgeschichtlichen Hintergrund an, die von Joachim Mensdorf und Peter Koppenhöfer unter Mitarbeit von Alexander Schmidt verfasst wurde.

Die Publikation erscheint Ende April anlässlich der Befreiung des KZ Flossenbürg vor 65 Jahren. Sie kann beim Wolfgang-Borchert-Gymnasium Langenzenn unter Tel.: (09101) - 90 41 80 bestellt und abgeholt werden. Eine Bestellung ist auch bei der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Praterinsel 2, 80538 München möglich.

Im Anschluss an den Vortrag von Joachim Mensdorf übergaben die drei Schülersprecher des Gymnasiums an den Bürgermeister der Stadt Langenzenn die Wolfgang-Borchert-Friedenstaube. Dabei handelt es sich um eine goldfarbene Plastik, die der Künstler Richard Hillinger aus Landshut erschaffen hat. Sein Projekt “Friedenstaube” wurde im Jahr 2008 anlässlich des 60. Jahrestages der Menschenrechte gestartet. Insgesamt 30 verschiedene Friedenstrauben gibt es, die alle Namen bekannter Friedensbotschafter oder auch von Literaten erhalten haben.

Die 30. und letzte Taube trägt den Namen “Wolfgang Borchert” und wird als erste Station von der Schule an den Bürgermeister überreicht. Die weiteren Stationen der Taube sind noch nicht bekannt. Die anderen 29 Tauben, die es gibt, sind bereits weltweit unterwegs - wie zum Beispiel in Australien, Japan oder China. Die Tauben hatten schon Persönlichkeiten wie Papst Benedikt und der Dalai Lama in ihrem Besitz. Denn die Taube soll weltweit ihre Empfänger zu Friedensstiftern machen.

“Es ist fantastisch, dass eine solche Friedensbotschaft, die dann auch noch weltweit ihre Kreise ziehen wird, hier aus dem Landkreis Fürth ausgeht”, bedankte sich der Landrat für “diesen wundervollen Beitrag zur Woche der Brüderlichkeit.“ Wie Schulleiter Reinhard Vollmer erläuterte, wollen die Schüler des Wolfgang-Borchert Gymnasiums mit der Friedenstaube unterstreichen, dass sie die Menschenrechte schützenswert erachten und hinter den Menschenrechten vollumfänglich stehen.