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Woche der Brüderlichkeit auf dem jüdischen Friedhof in Wilhermsdorf: „Mensch, wo bist Du?“

Landrat Matthias Dießl erinnerte daran, dass der Weg der Annäherung zwischen Juden und Christen in Deutschland nach den Nazi-Gräueltaten nicht einfach war

Einen Tag nach der zentralen Eröffnungsfeier der Woche der Brüderlichkeit in Nürnberg hat sich auch der Landkreis Fürth wieder an der Veranstaltung beteiligt.

Die Woche der Brüderlichkeit im Landkreis fand zum ersten Mal nicht in einer Schule, sondern auf dem jüdischen Friedhof in Wilhermsdorf statt.

„Mensch, wo bist Du?“ – so lautet das Jahresthema der Woche der Brüderlichkeit 2019. Daran angelehnt war auch die Veranstaltung des Landkreises. Es gab eine Führung auf dem Jüdischen Friedhof Wilhermsdorf durch Robert Hollenbacher, der die Geschichte der Juden in der Marktgemeinde aufgearbeitet hat. Die letzte Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof fand am 8. April 1936 statt. Ein jüdischer Viehhändler sei damals begraben worden. Rund 500 alte Grabsteine teils mit hebräischer Inschrift stehen auf dem Gelände auf einer kleinen Anhöhe umgeben von Bäumen. Viele davon sind bereits stark verwittert, da sie aus Sandstein gefertigt wurden. Die Grabsteine sind hauptsächlich aus der Zeit des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts. Auf dem Friedhof wurden auch die Toten der Nachbargemeinden Dietenhofen und Markt Erlbach beigesetzt. 1568 wurde der Friedhof in einem Grundbuch erwähnt. Der älteste Grabstein ist aus dem Jahr 1452.

Hollenbacher kennt diesen mystischen Ort sehr genau und konnte detailreich über das einstige jüdische Leben in Wilhermsdorf berichten. Anhand einzelner Grabsteine gab er Hinweise auf die verschiedenen Epochen, Symbole und deren Bedeutung. Er erzählte auch von Zeitzeugenaussagen sowie einzelnen Personen und deren Schicksal.

Das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Religionen war in Wilhermsdorf laut Hollenbacher kein Problem, einer habe dem anderen geholfen - bis die Nazis kamen. Der Friedhof ist nach Südosten ausgerichtet, nach Jerusalem. 1568 wurde der Friedhof in einem Grundbuch erwähnt. Im Jahr 1863 wurde er auf die heutige Größe - etwa 4000 Quadratmeter - erweitert. In den Jahren 1877, 1879, 1938 und 1945 kam es immer wieder zu Schändungen der Grabsteine.

Landrat Matthias Dießl erinnerte daran, dass der Weg der Annäherung zwischen Juden und Christen in Deutschland nach den Nazi-Gräueltaten zwar nicht einfach war und nicht einfach ist, dass aber Juden in Deutschland wieder ein Zuhause gefunden hätten.

Jüdische Deutsche, die vor dem Nazi-Terror rechtzeitig fliehen oder die die Lager überleben konnten, seien in ihre alten Heimatorte zurückgekehrt, Juden aus anderen Ländern neu eingewandert. “Sie haben ihre Gemeinden wieder aufgebaut und neue Synagogen und Gemeindezentren errichtet. Längst gibt es wieder ein vielfältiges jdisches Leben in Deutschland; schon lange bestehen viele Begegnungsorte für Juden und Christen, für jüdische und nichtjüdische Deutsche”, sagte der Landrat.

Er betonte aber auch: “Das ist nur die eine Seite der Realität.” Jüdische Friedhöfe würden nach wie vor geschändet, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger könnten vor Anfeindungen und Angriffen nicht sicher sein. Die NS-Rassenideologie sei nicht mit dem Dritten Reich untergegangen. Antisemitismus “bleibe in Deutschland virulent, in alten und neuen rechten Kreisen, im Bewusstsein so mancher Menschen selbst aus der Mitte der Gesellschaft.”

Der Landkreis wolle deshalb seinen Beitrag dazu leisten, gegen Antisemitismus vorzugehen und für ein Miteinander einzutreten. Dies soll im Rahmen des LEADER-Kooperationsprojektes “Spuren jüdischen Lebens in Westmittelfranken” gebündelt geschehen. Damit soll zugleich ein Bewusstsein für die Vielfalt jüdischen Lebens entwickelt werden. LEADER-Managerin Alida Lieb stellte das Projekt bei der Veran-staltung vor.

Die Lokale Aktionsgruppe LEADER Region Landkreis Fürth arbeitet in einem gemeinsamen Projekt mit drei weiteren Regionen in Westmittelfranken die jüdische Geschichte thematisch auf und lädt Landkreisbürger ein, sich selbst einzubringen.

Im Zuge des Projektes sollen Zeugnisse der jüdischen Geschichte, wie beispielsweise Synagogen, Schulen, Friedhöfe oder Mikwen, zusammengetragen und in einer Broschüre veröffentlicht werden.